Presserat maßregelt Hamburger Abendblatt
„Deutscher Presserat kritisiert das Hamburger Abendblatt“
Zu der Berichterstattung des Hamburger Abendblatts über den wiederholt durch Polizei und Staatsanwaltschaft (sowie richterlicher Eröffnungsbeschlüsse) unnütz vor Hamburger Strafgerichte gestellten Hamburger Polizeivollzugsbeamten Kamiar M. hat der 2. Beschwerdeausschuss des Deutschen Presserats (siehe auch die Beschwerdeschriften der Kritischen vom 22. Mai und 18. Juni 2008) immerhin zwei Hinweise (im Entscheidungstext unter B. I. und B.II.) gegen die Lokalredaktion des Hamburger Abendblatts ausgesprochen.
Der Text dieser Entscheidung des Deutschen Presserats ist ebenfalls auf der BAG-Seite der Kritischen zum Nachlesen eingestellt.
Sie können daraus entnehmen, dass einige geltend gemachte Sachverhaltsdarstellungen für den 2. Beschwerdeausschuss überhaupt „nicht nachvollziehbar“ (im Entscheidungstext unter B.III.) sind.
Dies darf nicht weiter verwundern, wenn man im Entscheidungstext unter „C. Ergebnis“ lesen kann:
„Die Entscheidung, dass die Beschwerde begründet ist, ergeht mit 5 Ja-Stimmen, 1 Nein-Stimme und 1 Enthaltung, die Entscheidung über die Wahl der Maßnahme ergeht mit 4 Ja- und 3 Nein-Stimmen.“
Das lässt jeden wachen Beobachter erstummen. Nicht bloß angesichts der Fülle von Einzelverletzungen gegen die Persönlichkeitsrechte des Hamburger Polizeivollzugsbeamten, der gerade auch durch das Hamburger Abendblatt über Wochen kontinuierlich und immer wieder mit selektiv-verzerrender Berichterstattung und anderem mehr wüst durch den Kakao gezogen worden ist, ist es schwer nachvollziehbar, dass in lediglich zwei Punkten ein „Hinweis“ – also die nach „Missbilligung“ und „Rüge“ niedrigschwelligste Maßnahme – an das Hamburger Abendblatt ausgesprochen worden ist, sondern die Entscheidung fiel auch noch denkbar knapp mit 4 : 3 Stimmen aus.
Diese Tatsachen sind nichts anderes als ein Beleg dafür, dass die „Freiwillige Selbstkontrolle“ der bundesdeutschen Medien genauso wenig funktioniert wie jene der internationalen (mithin auch der bundesdeutschen) Finanzmärkte.
Jeder Interessierte mag sich selbst ein Bild anhand der eingestellten Dokumente bzw. über ggf. weitere Recherchen zu der Berichterstattung über den betreffenden Hamburger Polizeivollzugsbeamten machen.
Immerhin äußert sich der Beschwerdeausschuss unter anderem zu seinen unter B.III. angestellten „Erwägungen“ wie folgt:
„Im Hinblick auf die Festnahme kann sich die Redaktion auf die Angaben der Polizei verlassen.“ und gibt damit einen kleinen Spalt in ihr Bewusstsein und Selbstverständnis offen zu erkennen. Denn allen Insidern polizeilichen Handelns offenbart sich in diesem Satz eine fast kindliche Naivität. Es gibt inzwischen selbst Richter (und das will etwas heißen), die ihre Urteile unter anderem damit begründen, dass bei Aussage eines Polizeibeamten gegen die Aussage eines belasteten Bürgers er nicht wissen könne, wer die Wahrheit sage, denn: warum solle er den Angaben des Polizeibeamten glauben, nur weil dieser eine Uniform trüge.
Auch der nach diesem zitierten Satz folgende Eiertanz, nachdem das Hamburger Abendblatt zum Auftaktbericht der neuen Hauptverhandlung aus dem Mai und Juni behauptet hatte, der Hamburger Polizeibeamte hätte sich nicht zum Sachverhalt eingelassen, obwohl er dies bereits nach seiner Festnahme getan hatte und sein Verteidiger dann im Gerichtssaal, lässt mehr Bedenken und Fragen aufkommen, als dass diese Darlegung des Beschwerdeausschusses hülfe.
So ähnlich ist es mit der den Hamburger Polizeivollzugsbeamten beschmutzenden Darstellung bzgl. der sehr ausführlichen Berichterstattung, in der im Wesentlichen der ihn belastende Sachverhalt aus Sicht der StA HH wiedergegeben worden ist, obwohl er einen erstklassigen Freispruch davon trug und diesen erstklassigen Freispruch im Hamburger Abendblatt auch noch so aufbereitet lesen zu können, wie wenn er eigentlich hätte verurteilt werden müssen, und anderen Tatsachen, ist erschreckend. Aber jede Interessierte kann dies anhand der eingestellten Dokumente selbst nachvollziehen. – Das ist also das Niveau der Selbstkontrolle der bundesdeutschen Medienlandschaft. Nun denn.
Interessant ist noch, dass unter
„A. Zusammenfassung des Sachverhalts, III.“
ausgeführt wird, dass die Rechtsabteilung der Axel Springer AG mitteilt:
„Im Hinblick auf den Vorwurf des Beschwerdeführers, der Autor des Beitrages (Journalist Balasko, der Unterzeichner) habe den Angeklagten nicht befragt und sei zwei Wochen lang nicht erreichbar gewesen, wird festgestellt, das der damalige Angeklagte weder telefonisch noch schriftlich ein Gegendarstellungsverlangen der Zeitung zugeleitet habe.“
Was für eine Armseligkeit in den hier zur Rede stehenden substantiellen Fragestellungen. Es gibt für Betroffene vielfältige Gründe, nicht auf das sehr enge Instrument und extrem formalisierte Gegendarstellungsverlangen zuzugreifen.
Eines ist aber auch klar: über Gegendarstellungsverlangen hätte der Hamburger Polizeibeamte alleine aufgrund der für ihn nicht einmal befriedigenden niedrigschwellenden Feststellungen in dem Entscheidungstext des Beschwerdeausschusses des Deutschen Presserats weit mehr im Hamburger Abendblatt abgedruckt erhalten als der Beschwerdeausschuss mit einem „Hinweis“ umrankt.
Dass die Rechtsabteilung der Axel Springer AG auch noch glaubt, dem Deutschen Presserat mitteilen zu müssen, dass der Unterzeichner „offenbar einen eigenen Feldzug gegen die Presse führe, was durch seinen Hinweis auf Selbsterlebtes deutlich werde.“ entbehrt nicht der Komik, da mir diese Argumentationsmethodik in staatsanwaltschaftlichen, aber leider auch richterlichen, Schriftsätzen wiederholt untergeschoben worden ist: wenn sich jemand an ein Gericht wendet, beschmutze er die Justiz, ja, wäre sogar Justizgegner. Und (hier) wenn sich jemand an das (Selbst)Kontrollorgan der bundesdeutschen Medien wendet, führe er einen „eigenen Feldzug gegen die Presse“. – Das ist ein Idiotentest für jeden Denkenden und einfach nur noch lächerlich. Auch die Presse, wie Gerichte, Polizei oder die Bundeskanzlerin, Politik schlechthin usw. sind nicht sakrosankt, sondern haben sich genauso hinterfragen zu lassen (besser noch: sich selbst zu hinterfragen) wie alle anderen in dieser Gesellschaft. Das gilt selbstredend auch für den Unterzeichner.
Aber auch hierzu („Feldzug gegen die Presse“, gerade auch mit Bezügen zum Hamburger Abendblatt) mag sich bei Interesse jeder sein eigenes Bild anlesen.
Wahrscheinlich war es auch für Mitglieder dieses Beschwerdeausschusses des Deutschen Presserats ein Kraftakt der besonderen Art, überhaupt diese knappe Mehrheit für zwei „Hinweise“ gegen das Hamburger Abendblatt, deren Lokalredaktion gerade vor wenigen Wochen als „beste Lokalredaktion der Bundesrepublik Deutschland“ mit einem Preis ausgezeichnet worden ist“ (!), herbeizuführen. Man kennt halt auch anderswo als in den Polizeien die Corpsgeistproblematik.
In diesem Sinne darf man auch nicht verkennen, dass die Entscheidung des Beschwerdeausschusses des Deutschen Presserats ein wirklicher Erfolg ist; vor allem für den durch den Fleischwolf gedrehten Hamburger Polizeibeamten.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Wüppesahl
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