CALL FOR ZIVILCOURAGE

1. September 2008 Thomas Wüppesahl Kritische Polizisten

An alle Interessierten,

demnächst wird ein Text veröffentlicht, in dem eine kleine – aber feine – Gruppe von Kritischen Polizistinnen und Polizisten bundesweit fragen wird, ob weitere Personen aus den Reihen der bundesdeutschen Polizeien dazu bereit sind, die kritischen PolizistInnen mit mehr Leben zu füllen.

Anlässe, Gründe und Motive gibt es reichlich. So werden wieder und wieder Gesetze mit polizeilichen Eingriffsermächtigungen vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben. Uns ist noch nicht bekannt geworden, dass es dazu – auch bei der Anwendung verfassungswidriger Gesetze – Stimmen aus den Reihen der Polizei gegeben hätte, die genau davor warnen. Nicht einmal Remonstrationen. Im Gegenteil!

Reihenweise fanden rechts-(und verfassungs-)widrige Rasterfahndungen in StudentInnenstädten statt, Online-Durchsuchungen wurden in NRW vom BVerfG gekippt, genauso vorverlagerte Verdachtsermittlungen in Niedersachsen. Es wird gewissermaßen ermittelt, ob ein Verdacht vorliegt. Nicht mehr der Verdacht wird als Grundlage polizeilichen Arbeitens genommen, sondern es wird gezielt “gearbeitet”, ob nicht doch ein Verdacht vorliegt (oder konstruiert werden kann).

Das BKA wird federführend gegenüber den Länderpolizeien und gegenüber dem Generalbundesanwalt. Zusätzlich erhält es Befugnisse, die auch die Geheimdienste haben, wie der erleichterte Zugang zu Wohnungen, selbst nachts. Ebenfalls zu den Aufgaben des BKA sollen Rasterfahndung, Schleierfahndung, Online-Durchsuchung und IMSI-Catcher gehören.
Dies alles soll der präventiven Gefahrenabwehr dienen, wird aber nicht zu mehr Sicherheit, sondern zu mehr Überwachung führen. Bereits auf Länderebene ist die Errungenschaft aus dem preußischen (!) Polizeirecht, wonach in die Rechte der BürgerInnen nur bei Vorliegen einer konkreten Gefahr eingegriffen werden durfte, angesichts verdachtsbefreiter Kontrollen etc. zum museal verstaubten Rechtsbegriff verkommen. Das Bundeskriminalamt wird derzeit zu einer geheimen Bundespolizei weiter entwickelt, da es alles können soll, was auch das Bundesamt für Verfassungsschutz kann, aber keinerlei parlamentarischer “Kontrolle” unterliegt: keine G-10-Kommission, kein Parlamentarisches Kontrollgremium.

Die Grünen verloren in siebenjähriger Mitregentschaft ihre bürgerrechtliche Unschuld: Wer baute bei der inneren Sicherheit Bürgerrecht um Bürgerrecht mit den beiden Sicherheitskatalogen von Otto Schily & seiner Rasselbande ab? Wer ließ in sieben Jahren das Datenschutzrecht dermaßen verkommen? Und wer gab voll besetzte Passagierflugzeuge optional, per Gesetz (!) und verfassungswidrig mit zum Abschuß frei? Oder wer akklamierte im Parlament einen gleichfalls als verfassungswidrig vom Bundesverfassungsgericht aufgehobenen Europäischen Haftbefehl?

Wir brauchen auch keinen biometrischen Personalausweis.

Wir brauchen keinen uferloser Datenaustausch mit den USA.

Die Bekämpfung von Schwerkriminalität muss die Bürgerrechte beachten.

Wir brauchen keinen nationaler Sicherheitsrat nach amerikanischem Vorbild.

Bundesdeutsche PolizistInnen führen (mindestens) fragwürdige Dienst in fremden Ländern wie Afghanistan durch, verkleidet als sog. Aufbauhilfe für Marionettenregimes u.a.m. – Häufig letztlich bloß als politisches Tauschpfand zu irgendeiner anderen Gegenleistung wie z.B. das Nutzen von Luftwegen für Truppenbewegungen bzw. -versorgung. Inzwischen erkennen ja auch unsere großen Polizeigewerkschaften, was für Ressourcenvergeudungen (und Gefährdungen) damit einhergehen. So z.B. der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, genannt: Conny, am Weltfriedenstag 2008, also dem 1. September ´08, im Hamburger Abendblatt:

“Die meisten afghanischen Polizisten, die wir dort ausgebildet haben, haben danach die Seiten gewechselt und sind wieder bei ihren teilweise sehr kriminellen Clans gelandet.”   –   “Auf jeden Fall haben wir die Ziele nicht erreicht. Wir haben uns bei der Einschätzung der Probleme völlig verschätzt.”   –   “Wir brauchen dort kaum den Kommissar, der den Ladendieb verfolgt und eine gute Spurensicherung macht. Dort sind paramilitärische Einheiten gefragt, die schwer bewaffnet Sprengfallen aufspüren und Selbstmordattentäter verfolgen. Das gehört nicht zum Berufsbild eines deutschen Polizisten.”

Damit reiht sich Conny (und die GdP) in die Reihe der politischen Klasse ein, die staatsaktähnliche Begräbnisfeiern inszenieren, wenn ein getöteter Bundeswehrsoldat beigesetzt wird, während sie jahrelang unserer Bevölkerung vorsang, dass die Bundeswehr am Hindukusch so etwas wie eine bessere Entwicklungshelferorganisation darstelle. Es ist unerträglich, was die Polizeigewerkschaften auf diesem Politikfeld (und nicht bloß dort) alles mit”tragen”. Afghanistan jedenfalls ist im Hauptbetätigungsgebiet der bundesdeutschen “Entwicklungshelfer” zum Hauptanbaugebiet der Welt für Mohn geworden. Und das ist nicht erst seit “gestern” bekannt!

Diese Auflistung ist bei weitem nicht vollständig.

Gleichzeitig finden wie installiert praktisch täglich Skandale irgendwo in der Bundesrepublik statt. Ob die Mai-Randale in Hamburg, Polizeikessel bei Demonstrationen oder wenn eine Polizeihundeführerin in Bayern, die gewissermassen als Berufsziel anstrebte, auf “allen Vieren” am Hundehalsband vor den gröhlenden Kollegen vorgeführt zu werden, als Normalität auszugeben.

Nach wie vor können sich BürgerInnen gegen polizeiliche Übergriffe schwer bis gar nicht wehren, weil die TäterInnen aus den Reihen der Polizei nicht namhaft gemacht werden können: Mal schützt der Helm vor Wiedererkennen, ein anderes Mal das fehlende Namensschild, die Verweigerung der Dienstnummer ist gerade dann wenn es zur Sache ging leider nicht selten. Und ansonsten können sich in der Regel die KollegInnen nicht daran erinnern, wer es von ihnen gewesen ist.

In Hamburg rückt inzwischen sogar die GAL von der Einführung von Namensschildern wieder ab; es reiche das Benennen der Dienstnummer. Lächerlich, wer um die Alltagspraxis weiß.

Nach wie vor gibt es bundesweit keine(n) Polizeibeauftragte(n) als Anlaufstelle für BürgerInnen und KollegInnen. Selbst das ineffiziente Kastrat von Polizeikommission in Hamburg – unter Rot-Grün eingeführt -, ist längst wieder abgeschafft. Ggü. der CDU, mit der die “grünen” Hamburger mittlerweile regieren, wird sogar gänzlich darauf verzichtet.

Kurzum: Gründe, unseren Verein wieder mit richtigem Leben zu füllen, gibt es genug.

Diese Ankündigung soll nicht mehr als einen Anstoß geben, die eine und den anderen zum Nachdenken darüber anzuregen, ob sie oder er mit ihrem/seinem Selbstverständnis entsprechend der geltenden Satzung der BAG Kritischer Polizistinnen und Polizisten e.V. in Bälde mitmachen wollen. Gründe dafür gibt es mehr als in den 80 oder 90er Jahren.

Wie gesagt: Der Aufruf kommt und richtet sich an alle aktiven und ehemaligen PolizeibeamtInnen, sowie Angestellte im Polizeidienst. Es bedarf allerdings noch mehr Zivilcourage als damals schon.

Für den Verein

Thomas Wüppesahl, Bundessprecher


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